Literatur

Louisa May Alcott

Junge Frauen, Tomboys und ein warmes Zuhause

Bei der Lektüre amerikanischer Mädchenbücher stößt man immer wieder auf Mädchen, die das Buch Little Women lesen. Nachdem mir dies Anfang der 1990er Jahre  aufgefallen war, begab ich mich vor einigen Jahren auf die Suche nach diesem Buch und seiner Autorin.

In der internationalen Buchhandlung wurde ich fündig: Little Women ist die Geschichte der vier Marchschwestern Meg, Jo, Beth und Amy, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs in Massachusetts aufwuchsen. Das Buch schildert ihre Bemühungen, zum Einkommen der Familie beizutragen.  Meg unterrichtet, Jo ist Gesellschafterin einer alten Dame, Beth hilft der Mutter im Haushalt und Amy geht noch zur Schule. Das Buch lässt die Leserin den liebevollen Familienalltag der Marchs miterleben. Die kleinen Erlebnisse der Mädchen an sich sind nicht spektakulär, aber das Buch gibt der Leserin das Gefühl, in diese liebevolle Atmosphäre mitaufgenommen zu sein. Zu Little Women gibt es drei Fortsetzungsbände. In Little Wives heiraten drei der Schwestern, Meg den Hauslehrer des reichen Nachbarsohnes, Amy besagten Sohn und Jo einen deutschen Professor.

Im dritten Band, Little Men, eröffnen Jo und ihr Mann eine Schule und das Leben der Schulkinder steht im Mittelpunkt. Der Schlussband Jo`s Boys schildert das Erwachsenwerden dieser Kinder und der Kinder der Schwestern.

Ich habe die Serie über die Marchschwestern sehr gerne und mehrmals gelesen. Erst später fiel mir etwas ein: Die Autorin der Little Women Reihe heißt Louisa May Alcott. Als Kind hatte ich ein Buch namens Glück im Frühling, das ich sehr l0eibte. An dieses Buch erinnerte mich die Geschichte der Little Women. Und siehe da, die Autorin dieses Buches hieß L.M. Alcott! Also musste sie noch mehr geschrieben haben. Ein nächster Gang in die internationale Buchhandlung bestätigte meine Vermutung: An old-fashioned Girl, Eight Cousins, Rose in Bloom, Under the Lilacs und Jack and Jill hießen die weiteren Bücher Louisa May Alcotts, die ich so nach und nach entdeckte. Tatsächlich war Glück im Frühling eine stark gekürzte und geänderte Übersetzung von Jack and Jill.

Eines dieser Bücher enthielt ein Vorwort, das mich erstmals auf die äußerst ungewöhnliche Lebensgeschichte Louisa May Alcotts aufmerksam machte. Die Verkäuferin in der internationalen Buchhandlung kannte mich bereits, als ich nun eine Biographie über diese Autorin bestellte.

Louisa May Alcott (geb. 1832, gest. 1888) war die zweite Tochter des Philosophen und Pädagogen Amos Bronson Alcott, der einer der führenden Köpfe des amerikanischen Transzendentalismus, einer vom deutschen Idealismus angeregten Philosophie, war. Ihre Jugend war geprägt von den Versuchen ihres Vaters, seine Philosophie in die Praxis umzusetzen. Er gründete mehrere Reformschulen, die alle irgendwann von der Schulaufsicht geschlossen wurden, mal wegen des zu freizügigen Religionsunterrichts, mal wegen der Aufnahme schwarzer Schüler. Einige Zeit lebte die ganze Familie in einer Landkommune und versuchte, sich selbst zu versorgen. Die Familie lebte streng vegetarisch, trug nur leinene Kleidung (Wolle nahm den Tieren ihr Fell, Baumwolle stammte aus Sklavenarbeit) und war in der Antisklavereibewegung aktiv. Mit alldem war natürlich kein Geld zu verdienen, so dass Louisa und ihre Schwestern schon früh anfingen, auf vielerlei Weise mitzuverdienen.

Erst nachdem Louisa ihren Bestseller Little Women geschrieben hatte, besserte sich die wirtschaftliche Lage der Familie. Fortan bestritt Louisa, die nie heiratete, den Unterhalt der ganzen Familie. Little Women ist schlicht und einfach die idealisierte Geschichte ihrer eigenen Kindheit. Die übrigen drei Bände sind größtenteils Fiktion. Louisa May Alcott schrieb aber nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse. Sie wollte mit ihren Geschichten zeigen, dass und wie die Erziehungs- und Lebensideale ihres Vaters, die sie teilte, in die Praxis umsetzbar sind.

Damit gelang ihr, woran er scheiterte. Ihre Bücher fanden den Weg in fast jeden amerikanischen Haushalt. Viele Frauen orientierten sich in der Erziehung ihrer Töchter an Louisa May Alcotts Büchern.

Das erklärt auch, warum uns heute ihre Bücher also so vertraut erscheinen, selbst wenn wir sie zum ersten Mal lesen. Louisa May Alcott schrieb nicht nur mit Little Women das erste amerikanische  Mädchenbuch, sondern begründete damit das Genre der Familiensagas und schuf Prototypen der darin vorkommenden Figuren, z.B. den Tomboy, das Mädchen, das sich nicht in die weiblichen Konventionen einfügen will und gerade deswegen ihren Weg macht.

Es gab einige, nicht sehr erfolgreiche, deutsche Übersetzung ihrer Bücher, die aber lange vom Markt verschwunden waren. Erst als sowohl 1994 unter dem Titel Betty und ihre Schwestern und dann 2019 unter dem Originaltitel Little Women neue Verfilmungen in die deutschen Kinos kamen, erwachte ein gewisses Interesse an Louisa May Alcott.

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5. August 2020