Pädagogik

Die Pfadfindermethode

»Gruppe, singen, Abenteuer« – das steht für die landläufigen Ideen, die Menschen äußern, wenn sie gefragt werden, was man denn so macht, wenn man ein Pfadfinder oder eine Pfadfinderin ist. »Ihr singt doch viel und schützt die Natur«, so äußern sich deutsche Eltern, deren Kind zu den Pfadfindern gehen will.

Auf der Website der Boy Scouts of America steht schon im Willkommenstext etwas anderes:

»Die Boy Scouts of America sind eine der größten und bekanntesten wertebasierten Jugendentwicklungsorganisationen der Nation. Die BSA bieten bietet  ein Programm für junge Leute, das den Charakter bildet, sie in den Verantwortlichkeiten der bürgerlichen Teilhabe trainiert und persönliche Fitness entwickelt.« (http://www.scouting.org/About.aspx)

Was ist es, das in den Gruppenstunden, auf den Zeltlagern rund um den Globus konkret gemacht wird? Schon Robert Baden-Powell selbst zitiert in seinem 1919 erschienenen Werk »Aids to Scoutmanship« was der Pädagoge James E. Russell, Dekan des Teachers College der Columbia University in New York darüber sagte, was die Pfadfinder denn eigentlich tun: »Es ist nicht das Curriculum, das das auffallendste Merkmal des Pfadfindens ist, es ist die Methode«.  (Baden Powell, Aids to Scoutmanship, Seite 16)

 Und um diese Pfadfindermethode soll es hier gehen. Nicht um das Ziel des Pfadfindens, nicht um die Werte der Pfadfinder, nicht um die Inhalte des Pro-gramms, sondern um die Methodik, mit der bei den Pfadfindern gearbeitet wird:

Die Pfadfindermethode wurde von der World Organisation of Scout Movement (WOSM) in den 1990er -Jahren neu formuliert.  1998 wurde von der WOSM ein strategischer Text mit dem Titel »Scouting: an Educational System« veröffentlicht, der seitdem die Grundlage für neu entstehende nationale Pfadfinderorganisationen und deren Anerkennung durch die WOSM bildet. In diesem Text wird die Pfadfindermethode in sieben Elemente aufgegliedert:

–              Das Pfadfindergesetz und das Pfadfinderversprechen

–              Learning by Doing

–              Das Teamsystem

–              Ein symbolischer Rahmen

–              Persönliche Entwicklung

–              Natur

–              Unterstützung durch Erwachsene

In der Verfassung der World Organisation of Girl Guides and Girl Scouts (WAGGS) wird dem ein achtes Element hinzugefügt, der Dienst an der Gemeinschaft.

Jedes dieser Elemente kommt auch in anderen pädagogischen Systemen vor. Die WOSM führt als das Einmalige am Pfadfinden gegenüber anderen Erziehungssystemen an, dass hier jedes Element, obschon es auch in anderen Systemen als einzelnes vorkommt, nur ein Teil des gesamten Systems ist und sie nur gemeinsam, infolge des  Synergieeffekts – die Pfadfindermethode – bilden.

Das Pfadfinden an sich wird als »Bewegung der Selbsterziehung für junge Menschen« bezeichnet.

Das Pfadfinden wirkt »durch die einmalige Pfadfindermethode der progressiven Selbsterziehung. Die Pfadfindermethode ist ein allumfassender pädagogischer Rahmen, der aus Elementen zusammengesetzt ist, die als System zusammenwirken,  um jungen Menschen eine reiche und aktive Lernumgebung zu bieten« (WOSM, Scouting: An educational System, S. 3).

 Diese sieben Elemente will ich jetzt genauer betrachten:

Das Pfadfindergesetz und das Pfadfinderversprechen

Pfadfindergesetz und Pfadfinderversprechen werden als ein Element der Pfadfindermethode betrachtet, weil sie so eng miteinander verbunden sind. Das Pfadfindergesetz ist einerseits eine persönliche Richtschnur, an dem der einzelne Pfadfinder sein Leben ausrichtet, andererseits dient es als Gesetz einer Mikrogesellschaft junger Menschen, in der jedes Mitglied die gleichen Rechte und Pflichten sich selbst und anderen gegenüber hat.

Das vor der Peergroup der anderen Pfadfinder abgelegte Versprechen ist eine freiwillige Entscheidung des jungen Menschen, das Pfadfindergesetz zu akzeptieren. Das Versprechen, dass immer wieder beim Eintritt in eine neue Alters-stufe abgelegt wird, ist der erste symbolische Schritt im Prozess der Selbsterziehung.

Learning by doing

»Selbsterziehung ist das, was ein Junge für sich selbst lernt, das ist das, was er behalten wird und was ihn später im Leben leiten wird, weit mehr als alles, das ihm von einem Lehrer beigebracht wurde«,  sagt Baden-Powell in Scouting for Boys . (WOSM, Scouting: An Eductional System, Seite 21) »Learning by doing« ist als Slogan in der Schulpädagogik im Zusammenhang mit der Projektmethode entstanden.  »Learning by doing«  klingt uns heute so selbstverständlich, aber was meint es eigentlich? Es bezeichnet Lernen durch Erfahrung aus erster Hand, durch selbstständiges Handeln in selbstgewählten Zusammenhängen.

Das Teamsystem

»Pfadfinden gruppiert die Jungen in brüderliche Banden, was ihre natürliche Organisationsform für Spiele, Unfug machen und Nichtstun ist«, schrieb Baden-Powell 1944 in »Aids to Scoutmastership« . (WOSM, Scouting: An educational System, Seite 25)

Pfadfinder sind in Kleingruppen organsiert. Von Baden-Powells Begriff »Patrols« oder – auf Deutsch Sippen (bei den Wölflingen Rudel) – ist die WOSM in »Scouting: An Educational System«(1998) auf den Begriff »Teams« übergegangen, akzeptiert aber weiterhin den in vielen Ländern traditionell ver-wendeten Begriff »Patrols«. Jedes Team besteht aus sechs bis acht Mitgliedern. Sowohl bei Spielen als auch bei der Übernahme von Pflichten im Lager oder im Gruppenleben wird in diesen fest bestehenden Teams gearbeitet. Jedes Mitglied soll sich so als verantwortlicher Teil der Gesamtorganisation erleben.

Aus dem Teamsystem entsteht die größere Organisation der Pfadfinder. Innerhalb der örtlichen Gruppe hat jedes Team seinen Teamleiter, der bzw. die ein Pfadfinder oder eine Pfadfinderin im Alter der Teammitglieder ist. Vier bis sechs Teams bilden eine Pfadfindergruppe. Damit definiert die WOSM die ideale Gruppengröße zwischen 24 und 48 Mitgliedern.

Die Teamleiter bilden zusammen mit den erwachsenen Pfadfinderleitern ein Gremium, dass die Pfadfindergruppe leitet.

Baden Powell sah im Patrolsystem eine Minirepublik: Jede Person ist an der Regierung seiner Minigesellschaft beteiligt und hat Anteil an der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es den allen Mitgliedern gut geht.

Die WOSM regelt die Mitbestimmungsrechte der Kinder und Jugendlichen nach Altersgruppen und der Länge der Mitgliedschaft gestaffelt. Die Demokratie in einer Pfadfindergruppe ist nicht nach dem Mehrheitsprinzip geregelt, sondern es wird ein Konsens gesucht, anstatt Minderheiten zu überstimmen.

Ein symbolischer Rahmen

»Hätten wir es als das bezeichnet, was es ist, »›Eine Gesellschaft für die Propagierung moralischer Attribute‹«, hätten die Jungen sich nicht unbedingt gedrängt, mitmachen zu dürfen. Aber es Pfadfinden zu nennen, und ihm die Chance zu geben, ein kleiner Pfadfinder zu werden, war natürlich eine andere Sache.«, schreibt Baden-Powell 1933 in den »Lessons from the Varsity of Life«. (WOSM, Scouting: An educational System, Seite 33)

Symbole sprechen Menschen über ihre Vorstellungskraft und ihre praktischen Erfahrungen an und können damit so komplexe Sachverhalte kommunizieren, ohne auf ein entsprechend komplexes Sprachverständnis des Empfängers zurückgreifen zu müssen.

Baden-Powell wählte mit der Scoutsymbolik einen symbolischen Rahmen, der Jungen zwischen dem Ende der Kindheit und dem Beginn der Adoleszenz im England des frühen 20. Jahrhunderts ansprach. Als später die Mädchen und die jüngeren und älteren Jungen hinzukamen, kamen andere Symboliken dazu. Die Kinder erleben unterschiedliche Symboliken, wenn sie die verschiedenen Altersstufen durchlaufen, obwohl das Symbol des Pfadfinders als Person, der die anderen den Weg erleuchtet, als Gesamtrahmen immer eine Rolle spielt.

Persönliche Entwicklung

Nicht nur wird von der WOSM die Selbsterziehung als Hauptziel des Pfadfindens an sich definiert; vielmehr, sondern die persönliche Entwicklung wird auch als das Element der Pfadfindermethode betrachtet, das die bewusste Einbindung des jungen Menschen in die Gestaltung seiner der eigenen Entwicklung bedeutet. Diese wird hauptsächlich durch das aufeinander aufbauende Programm unterstützt.

Die erste wichtige Voraussetzung für die persönliche Entwicklung eines jungen Menschen durch die Pfadfinderei ist die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Pfadfinden erreicht sein Ziel nur aufgrund intrinsischer Motivation des einzelnen Mitglieds. Pfadfinder wird ein Kind dadurch, dass es sein Pfadfinderversprechen ablegt, nicht dadurch, dass die Eltern ein Anmeldeformular ausfüllen. Eltern können ihr Kind gegen seinen Willen zum Klavierunterricht schicken und mancher Lehrer wird es als Schüler akzeptieren, – eine Pfadfindergruppe wird kein Mitglied akzeptieren, das nicht bereit ist, das Versprechen abzulegen. Das Ablegen des Versprechens ist ein erster symbolischer Schritt im Lernen eines Pfadfinders. Das Versprechen ist keine Prüfung, die zu bestehen ist. Es ist an keine Voraussetzungen gekoppelt, als daran, dass der Neuaufzunehmende sich eine Vorstellung verschafft hat, was Pfadfinderei ist, dass er Pfadfinder werden möchte und dass er bereit ist, sein Bestes zu tun.

Die WOSM drückt das folgendermaßen aus: »Die Tatsache, dass die Pfadfinderei von einem jungen Menschen einfach verlangt, ›sein oder ihr Bestes zu tun‹ ist der zentrale Punkt der persönlichen Entwicklung.   Es gibt keine Vergleichstests, kein Ranking, wer etwas besser oder schlechter gemacht hat. Der einzige Wettkampf für den Einzelnen ist mit sich selbst. Nicht nur vermindert dies die Angst vor dem Verglichen werden und dem Versagen, es ist außerdem ein Faktor, der die Entwicklung von tieferen und authentischeren Beziehungen innerhalb der Gruppe verstärkt – weil es keinen Unterton einer durch Wettbewerb erzeugten Spannung gibt.“

Die persönliche Entwicklung ist nicht nur auf die Zukunft als Erwachsener ausgerichtet; was ein Kind in der Pfadfinderei lernt, bereichert sein Leben in der Gegenwart als Kind. Diese konkrete Umsetzbarkeit – was das Kind in der Gruppenstunde gelernt hat, kann es auf dem nächsten Lager anwenden und nicht erst in einer abstrakten Zukunft – lässt das Kind den Wert der Selbstbildung erfahren.

Jeder Pfadfinder und jede Pfadfinderin kann sich die Bereiche frei auswählen, die er oder sie erlernen will. Dieses freie Auswählen ist nicht erst möglich, wenn das Pflichtprogramm absolviert ist, sondern ist integraler Teil der Gruppenarbeit, da es für eine Pfadfindergruppe nicht nur sinnvoll, sondern notwendig ist, dass unterschiedliche Mitglieder unterschiedliche Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen.

Entwicklung und Lernfortschritt wird in der Pfadfindergruppe anerkannt. Hierbei steht im Vordergrund, ob derjenige sich Mühe gegeben hat und ob er sich gegenüber seinem eigenen vorherigen Level verbessert hat. Die Anerkennung erfolgt wiederum symbolisch durch Aufnäher, international (»badges«) genannt.

Natur

Natur, als Element der Pfadfindermethode, bezieht sich auf die unermesslichen Möglichkeiten, die die Natur für die Entwicklung eines jungen Menschen bietet.

Leben in der Natur bietet eine Chance für einen jungen Menschen zu erfahren, was im Leben essentziell und real ist. Weit weg vom gewohnten Zivilisationskomfort erleben die Pfadfinder einen einfacheren Lebensstil in der Natur und lassen für diese Zeit den Lebensstil des Konsums hinter sich.

Unterstützung durch Erwachsene

Hier wird die Beziehung zwischen Pfadfinderleiter und jungem Pfadfinder definiert:

»Die Unterstützung durch Erwachsene in der Pfadfinderei beinhaltet eine freiwillige Partnerschaft zwischen dem erwachsenen Leiter und den Kindern und Jugendlichen, sowohl individuell als auch als Gruppe. In dieser Partnerschaft ist es die Aufgabe des erwachsenen Leiters, den Prozess der Selbsterziehung durch die Art zu erleichtern, in der er oder sie die Pfadfindermethode anwendet. Es handelt sich um eine pädagogische Partnerschaft (educational relationship)«.

Was ist also die Voraussetzung, die der Erwachsene mitbringen muss, um Pfadfinderleiter zu werden?

»Der Erwachsene identifiziert sich mit den erzieherischen Absichten der Pfadfinderei, hat ein Interesse an der Entwicklung junger Menschen und empfindet es als persönlich bereichernd, in die Ermöglichung des Entwicklungsprozesses junger Menschen involviert zu sein«.  („Scouting: An Educational System“ (PDF). World Organization of the Scout Movement. 1998, Seite 58)

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6. August 2020