Literatur

Literarische Salons

Seit jeher faszinieren mich literarische Salons. Seit jeher, das heißt konkret, seitdem ich mit 13 oder 14 anfing, die Frauen der Romantik zu entdecken. Auf dieses Thema als junges Mädchen zu stoßen, ist nicht schwer, wenn man ein bisschen literarisch interessiert ist und in Frankfurt nahe der Stadtgrenze zu Offenbach wohnt. Dann stößt man recht schnell mindestens auf die Geschichte der Bettine von Arnim, der Sophie von la Roche und der Karoline von Günderode, zu einigen der Orte, wo deren Lebensgeschichte spielte, kann ich von zuhause aus zu Fuß hinlaufen.

Von diesen Anfängen ausgehend, las ich mich über die Jahre durch die Biographien der vielen faszinierenden Frauen der Romantik und dabei auch durch die der Berliner Salonièren, Henriette Herz, Rahel Varnhagen und Dorothea Schlegel. Die Beschreibung derer Salons faszinierte mich und ich wünsche mir, dass es solche Gruppen heute noch gäbe.

Die Anfänge der Salonkultur muss man in Italien suchen. Man denke an Boccaccio und sein Dekameron. Als regelmäßige gesellige Zusammenkünfte intellektueller Zirkel werden Salons in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich eingeführt und erleben im 17./18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Als Beispiele seien genannt: der Salon der Madame de Tencin, in deren Salon u.a. Voltaire, Montesquieu, J.-J. Rousseau verkehrten, und der Salon der Mademoiselle de Lespinasse, in deren Salon u.a. D`Alembert und Diderot verkehrten. Die Namen zeigen bereits auf, daß die Salons in Frankreich einen nicht unwesentlichen Teil an der Verbreitung des Gedankenguts der französischen Revolution hatten. Salonkultur in Frankreich ist im 18.Jahrhundert stark philosophisch-politisch geprägt. In Deutschland wird die Salonkultur erst heimisch mit dem Ende des 18.Jahrhunderts und vertritt eher Positionen der Romantik.

Kennzeichnend für alle Salons ist, dass eine Frau die Initiatorin ist. Dies hat in Frankreich einen gesellschaftlichen Hintergrund. Dem Mann von Adel sind Aufgaben bei Hofe zugewiesen oder in den männlichen Tätigkeitsbereichen der Jagd oder auch in den zahlreichen Kriegen dieses Jahrhunderts. Die adlige Frau kann hingegen ihre freie Zeit verwenden, um sich geistreich zu unterhalten und entsprechend gebildete Personen empfangen. Dies sind aber in Frankreich wieder die Männer, die eine entsprechende Ausbildung erhalten haben, d.h. der französische Salon des 18.Jahrhunderts ist praktisch eine zum Gedankenaustausch zusammengekommene Gesellschaft unter der „Leitung“ einer Frau.

Die Salons, die am Ende des 18.Jahrhunderts in Berlin entstehen, haben dagegen eine vollkommen andere Struktur. Gleich mit den bisher erwähnten Salons ist, dass auch hier eine Frau die Initiatorin ist. Jedoch sind die Salons primär nicht politisch engagiert, sondern auf künstlerischem oder literarischem Gebiet. Sie sind darüber hinaus Begegnungsstätten von Adel, Großbürgertum, Intellektuellen und vor allem auch jüdischen Bürgern. Diese andere Struktur bedarf der Erklärung

Doch zuvor ein Wort zu den Voraussetzungen eines Salons. Um einen Salon eröffnen zu können, mussten die räumlichen Gegebenheiten vorhanden sein oder mit anderen Worten, es musste ein großes Haus vorhanden sein, ein Haus wie es im Bürgertum in der Vergangenheit nicht vorhanden war, sondern höchstens beim Adel in den Stadtpalästen. Weiterhin bedurfte es einer „einladenden“ Person. Da die Männer meistens mit ihren Geschäften im bürgerlich-wirtschaftlichen Sinne oder im Hof- und diplomatischen Dienst beschäftigt waren, fiel diese Rolle – wie auch in der Vergangenheit – den Frauen zu. Eine Frau, die einen Salon eröffnen wollte, bedurfte also des wirtschaftlichen Rückhalts ihres Mannes, der ihr auch ein Leben mit viel Freizeit ermöglichte. Diese Frauen gaben mit ihren Salons dann aber ihren Männern einen Gewinn an Ansehen. Für diese Frauen war aber weiterhin eine unabdingbare Voraussetzung, dass sie eine umfassende Bildung besaßen.

Friedrich der Große hatte in seinen jungen Jahren drei Kriege geführt, von denen der siebenjährige Krieg die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes bis aufs Äußerste beanspruchte. Nach 1763 begann dann eine Phase des Aufbaus, der wirtschaftlichen Reorganisation und der Festigung der durch den Krieg erworbenen Position als Großmacht. Dazu gehörte nicht zuletzt auch ein Ausbau der Hauptstadt Berlin. Dieser Ausbau erfolgte unbeschadet davon, dass Potsdam mit Sanssouci das Refugium des Königs besaß. Man muss sich vergegenwärtigen, dass für Preußen, damit Mitteleuropa eine über 40-jährige Friedensperiode stattfand, die mit dem Kriegseintritt gegen Napoleon und der Schlacht von Jena und Auerstedt ein jähes Ende fand.

Eine solche Friedensperiode beeinträchtigt die Existenzansprüche des Adels. Der Adel stellte nicht nur traditionsgemäß die Offiziere, sondern hatte ein Standesrecht auf Offiziersgestellung. An dieser Stelle sei darauf aufmerksam gemacht, dass Preußen ein Ständestaat war und dass die Stände gesetzlich verankerte Rechte besaßen oder auch nicht besaßen. In diesen 40 Friedensjahren veränderte sich die Situation und damit werden mit zunehmender Näherung zum Ende dieser Periode aus den verschiedensten Gründen Auflockerungen dieser Standesschranken möglich, auch wenn sie gesetzlich erst durch das Reformwerk von Hardenberg und dem Freiherr vom Stein verändert werden. Aus der Friedenssituation heraus änderte sich für viele Adlige ihr Beschäftigungsfeld. Die Bewirtschaftung ihrer Güter füllte ihre Zeit nicht mehr aus. Sie strömten in die Stadt, um dort zu repräsentieren, sich intellektuell zu unterhalten oder eine Stellung in der Beamtenhierarchie zu erwerben.

Diese wirtschaftliche Aufbauphase führte natürlich auch für das Bürgertum zu mehr Wohlstand und damit zu der Möglichkeit geselliges Leben aufzubauen. Denn gewonnener Wohlstand bedeutete auch gewonnene Freizeit, die sinnvoll oder zum Vergnügen genutzt werden konnte. Auch für die Frauen des Bürgertums bedeutet wirtschaftlicher Wohlstand eine Zunahme der Möglichkeiten, sich eine Bildungsbasis aufzubauen.

Wenn auch Preußen unter Friedrich Wilhelm I durch äußerste Sparsamkeit seine Kassen gefüllt hatte, so überschritten die Ausgaben für den dritten und längsten preußischen Krieg, den siebenjährigen Krieg, die Möglichkeiten Preußens bei weitem. So musste auch Friedrich der Große sich nach Geldbeschaffern umsehen. Und da nach alter christlicher Tradition der Umgang mit Geldgeschäften eine einem Christen unwürdige Beschäftigung darstellt, musste er sich bei jüdischen Geldhändlern umsehen. Die jüdischen Bankhäuser Berlins finanzierten ihm also seine Kriegshandlungen, verdienten an Heereslieferungen für Uniformen und Waffen. Damit war ihr Reichtum begründet, der sie zu den reichsten „Bürgern“ Berlins werden ließ. Damit war in diesen Häusern der wirtschaftliche Hintergrund für einen Salon gegeben.

Anders stand es um die rechtliche Stellung der Juden. Zwar hatte Friedrich der Große in seinem Staat das Motto vertreten, jeder möge nach seiner Fasson selig werden. Dies bezog sich jedoch nicht auf die Ausübung der jüdischen Religion. Der Zuzug von Juden war streng reglementiert, und Juden durften Berlin nur durch eines der Stadttore betreten, nämlich das Rosenthaler Tor. Nur solche Juden erhielten einen Passierschein, für die die jüdische Gemeinde garantieren konnte. Die anderen wurden auf dem Weg über die „Judenherberge“ wieder abgeschoben.Die Juden in Berlin waren weiterhin unterteilt in Generalbevollmächtigte, wie z.B. die großen Bankhäuser, Privilegierte und geduldete Juden. Nur die Generalbevollmächtigten warten den Bürgern gleichgestellt. Mit dieser Unterteilung waren auch die gesellschaftlichen Rechte festgelegt. Hannah Ahrendt bezeichnete diese Zeitspanne im Verhältnis der Deutschen zu den Juden: als Zeit, „in der der alte Judenhass abgetan und der moderne Antisemitismus noch nicht geboren war.“ In dieser Situation entstanden drei der bekanntesten Salons: der Salon der Henriette Herz, der Salon der Rahel Varnhagen und der Salon der Dorothea Schlegel.

Gemeinsam war diesen dreien eines: Sie verkehrten alle im gastfreundlichen Gelehrtenhaushalt von Moses Mendelsohn.Immer wieder las ich Wertungen, dass ohne Moses Mendelsohn die Berliner Salonkultur nicht hätte entstehen können. Er war gemeinsam mit Lessing und Nicolai, der den Vorsitz innehatte, Mitglied des Montagsclubs der Berliner Aufklärung  an. Dieser Montagsclub, zu dem Frauen keinen Zugang hatten, war eine Mischung zwischen literarischer Gesellschaft und Gelehrtengesellschaft über Standesgrenzen hinweg.

 In welchem Verhältnis standen nun diese drei Salonièren zu Moses Mendelsohn? Im Falle Dorothea Schlegels ist das schnell beantwortet, sie war seine Tochter. Aber auch Henriette Herz und Rahel Varnhagen sind seine geistigen Töchter gewesen. Beide nahmen regelmäßig an seinen Lesegesellschaften teil, lernten dort Gelehrte und Schriftsteller kennen, sogen den Geist der Aufklärung begierig auf und entdeckten ihre Begeisterung für deutsche Kultur. Und sowohl ihr Bildungseifer als auch ihr Freiheitsdurst wurzelten ebenso in der Gedankenwelt des Moses Mendelsohn wie ihre Vorgehensweise, beides in Form eines Salons zu einem Teil ihres Lebens zu machen.

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30. August 2020