Pädagogik

Wie die Pfadfindermethode entstand – Scouting for boys

In der von der britischen Scout Association anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Pfadfinderbewegung herausgegebenen »Offiziellen Geschichte der weltweiten Bewegung: 100 Jahre Pfadfinder« heißt es über »Scouting for Boys«: »Der Text war ein Sammelsurium kurzer prägnanter Kapitel und Artikel, zusammengetragen aus einer Vielzahl von Quellen, illustriert mit Zeichnungen des Autors.« .( The Scout Association: Die offizielle Geschichte der weltweiten Bewegung: 100 Jahre Pfadfinden, Seite 39)

Auf welche Vielzahl von Quellen bezieht sich hier die Scout Association? Als Robert Baden-Powell 1907 daran ging, seine Ideen in »Scouting for Boys« aufzuschreiben, las er zuvor die Bücher der damals modernsten Pädagogen. Mark Smith stellte diese 1997 zusammen und nennt unter anderem Pestalozzi, Turnvater Jahn, John Pounds (den Gründer der Ragged Schools für arme Kinder), Ernest Thompson Seton und Maria Montessori, deren Philosophie und Methoden ihn besonders faszinierten.

Baden-Powell kam 1906 mit der amerikanischen progressive education -Bewegung in Kontakt, als ihm Ernest Thompson Seton sein Buch »The Birch-bark Roll of the Woodcraft Indians« sandte, woraufhin und die beiden zu korrespondieren begannen.

Als progressive education bezeichnet man eine Epoche der amerikanischen Pädagogik zwischen 1870 und 1940. Die amerikanische progressive education war durch die deutsche Pädagogik beeinflusst, sie baute unter anderem auf der Kindergartenpädagogik Friedrich Fröbels auf, beeinflusste später aber, vor allem durch die Ideen John Deweys ihrerseits die deutsche Reformpädagogik, insbe-sondere die Gründung der Landerziehungsheime, zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Obwohl ab 1919 die Progressive Education Association bestand, ist die progressive education keineswegs als einheitliche Bewegung, sondern eher als Tradition zu betrachten.

Seit Edwin Nicholsons Untersuchung »Education and the Boy Scout Movement in America« 1940 wird Baden-Powells Pfadfindermethode als stark von der amerikanischen progressive Education beeinflusst betrachtet.

John Dewey  entwickelte zwei der Elemente, die wir in der Pfadfindermethode wiederfinden: Die Projektmethode des »Learning by doing« und die »Gemeinschaft im Kleinen«, die er in seiner 1896 gegründeten Laborschule in Chicago verwirklicht sah.

Dewey hatte die Laborschule gegründet, um die von ihm entwickelten Ideen einer neuen Schule, in der die Kinder aus intrinsischer Motivation an selbstgewählten Projekten arbeiteten, praktisch zu erproben.

Den Begriff des »Learning by doing« gebrauchte Dewey zwar erst 1911, und vor ihm 1904 schon Georg Kerschensteiner, aber in der weithin bekannten Laborschule wurde die Projektmethode in allen Bereichen angewendet.

Nicholson wies nach, dass die bis dahin von Dewey im schulischen Bereich umgesetzte Methode des Learning by doing von Baden-Powell erfolgreich in den außerschulischen Bereich übertragen wurde.  (Nicholson, Edwin: Education and the Boy Scouts Movement in America, Seite 94)

Dewey sah den einzigen Weg der Vorbereitung auf das soziale Leben in der Gesellschaft in der Teilnahme am sozialen Leben. Daher konzipierte er die Laborschule als eine »Gemeinschaft im Kleinen« und eine »Demokratie im Werden«.

Diese ersten Ansätze jugendlicher Selbstverwaltung führten in radikaler Weiterführung zur Kinderrepubliksbewegung, in gemäßigter Form zum Kleingruppensystem außerschulischer Jungenorganisationen, wie den Boys Clubs in New York, der Boys Brigade in England, deren Ehrenvizepräsident Baden-Powell 1904 wurde und mit deren Gründer William Smith er in engem Kontakt stand, sowie und den »Woodcraft Indians« von Ernest Thompson Seton.

Ernest Thompson Seton war ein Naturschriftsteller und -zeichner. Er gründete 1902 die Woodcraft Indians. Er schickte Baden-Powell 1906 sein Buch »The Birchbark Roll of the Woodcraft Indians«. Die beiden standen von da an in engem Kontakt, und Seton wurde einer der Gründer der Boy Scouts of America, deren erster Chief Scout er bis 1915 war. Er schrieb das erste Boy Scout Handbuch der BSA.

Er überwarf sich später mit Baden-Powell darüber, dass er seinen Beitrag zur Gründung der Pfadfinder nicht gewürdigt sah.

Setons 1906 erschienenes Buch »The Birch-Bark Roll of the Woodcraft Indians« enthielt gleich mehrere Elemente der Pfadfindermethode:

Gleich in der Einleitung betont Seton, dass er die Natur als den idealen Rahmen seiner Jugendarbeit sieht. Seton schuf einen symbolischen Rahmen in der Indianerromantik. Er sagt über die Gruppen der Woodcraft Indians: »Es sind einfache outdoor-clubs. The Der Indianername und -stil wurden ihnen gegeben, weil sie den Charme von Farbe und Romantik hinzufügen und weil sie so gut passten«. Die Woodcraft Indians waren nach dem Patrol System organisiert: »[…] die Stammesordnung oder Indianerform. Grundsätzlich ist dies eine Demokratie oder eine konstitutionelle Monarchie und sie hat sich als die beste erwiesen.«   (Seton, Ernest Thompson, The birch-Bark Roll of the Woodcraft Indians, Seite 2)

Seton entwickelte ein System der persönlichen Weiterentwicklung. Es war ihm sehr wichtig, dass die Jungen nicht im Wettbewerb zueinander standen, sondern jeder an der Verbesserung der eigenen Leistung arbeitete. Zur Anerkennung der Fortschritte der Jungen entwickelte Seton ein Badgesystem.

Die Woodcraft Indians arbeiteten in ihren Patrols mit Unterstützung durch Erwachsene. Zu jedem Stamm gehörte mindestens ein erfahrener Erwachsener, der als »Medizinmann« bezeichnet wurde und als Lehrer fungierte.

Die Woodcraft Indians hatten ein eigenes Gesetz, und jedes neue Mitglied legte ein Versprechen ab, sich an dieses Gesetz zu halten.

Baden-Powell kombinierte die Grundideen der progressive education, die Projektmethode und den demokratischen Aufbau einer Jugendorganisation mit Ernest Thompson Setons System der Woodcraft Indians zur Pfadfindermethode. Wie ist diese Feststellung nun zu werten?

Die Legendenbildung, die Pfadfindermethode sei ausschließlich aus den Erfahrungen in Mafeking 1899 und dem experimentellen Lager auf Brownsea Island von Baden-Powell im Alleingang geschaffen worden, beiseite lassend, lässt sich meines Erachtens anerkennen, dass sich Baden-Powell, der ja selbst kein Pädagoge war, methodisch an den modernsten damals im angloamerikanischen Sprachraum verfügbaren reformpädagogischen Ansätzen orientierte.

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